Ein Jahr ohne Ziele

Rückblick auf ein Jahr ohne Ziele

Chris erste Worte an mich waren: Ich lebe noch. Er hatte vor einem Jahr diesen Selbstversuch gestartet. Er war es leid. Bis zur Selbstaufgabe war er beruflich gegangen. 24/7 lebte er für die Arbeit. Ja, Sport machte er, um gut auszusehen und für die Arbeit fit zu sein. Lesen ausschließlich für die Arbeit. Er konnte sich nicht daran erinnern, einen Roman oder Belletristik gelesen zu haben. Einen guten Film, nein, langweilte ihn nur.

Der Auslöser

Chris wusste nicht mehr, wie ein Tag ohne Arbeit aussehen könnte. Nein, er hatte keine Familie. Ja, eine Freundin, Isabella, die arbeitete ähnlich viel und hatte noch ihre Hobbys und Freunde. Für ihn nicht nachvollziehbar, Hobbys, warum Freunde für was? Seit er denken konnte, hatte er sich Jahr für Jahr berufliche Ziele gesetzt. Das, was er noch lernen wollte, das, was er noch erreichen wollte. Ja, er liebte es, sich neue Ziele zu setzen, neue Dinge zu lernen, neues auszuprobieren. Ende November 2019 wachte er auf und langweilte sich. Langeweile kannte er nicht. Er startete den Tag wie gewöhnlich, machte Sport, las 20 Seiten in einem Buch über Design, lernte 20 neue chinesische Vokabeln und begann zu arbeiten. Leere, das war das Gefühl an dem Tag. Er ignorierte es und hoffte auf den nächsten Tag. Selbes Gefühl. Es änderte sich nicht. Woche für Woche. Der Spaß fehlte, oder nein, schlimmer, der Sinn. Wofür? Diese Frage hatte Chris sich nie gestellt. Bis zu diesem Tag.

Der Selbstversuch: Keine Ziele im Jahr 2020

Gut, sagte Chris: Im Jahr 2020 gibt es keine Ziele. Ich fragte ihn warum, und was er sich davon verspricht. Er sagte, das er hofft damit herauszufinden was er eigentlich will, er wisse nicht mehr warum er was macht.

Reflexion:

Was ist das Problem, keine Ziele zu haben?

Klar hatte Chris sich im Vorfeld überlegt, was das Problem ist, keine Ziele zu setzen: Ich kann in einem Jahr nicht stolz auf das Jahr zurückblicken und sagen, das habe ich in dem Jahr erreicht. Chris grinst. Er sagte: Ich dachte auch, dass ich keine Motivation für nichts mehr haben werde. Beispielsweise Sprachenlernen. 

Würde man eine Sprache lernen, ohne sie jemals anwenden zu wollen?

Bis zu dem Selbstversuch hätte ich Nein gesagt, jetzt, nach dem Jahr sage ich Ja. Ich habe in dem Jahr gemerkt, das es das Lernen an sich ist, was mich glücklich macht. Der Moment, in dem nichts anderes wichtig ist.

Das Ego hatte ein Jahr Pause

Alles, was ich tat, machte ich, weil ich es in dem Moment wollte. Davon zu erzählen war ausgeschlossen. Dann wäre das Ziel gewesen, davon berichten zu können. Also hatte mein Ego ein Jahr Pause. Ich lernte mich in dem Moment neu kennen, da ich bei allem, was ich machte, in mich hineinhorchte und überlegte, ob ich es nur tat, um es zu tun, und wie es mir dabei ging. Wenn ich mich dann dabei erwischte, dass ich ein verdecktes Ziel hatte, hörte ich auf. Achtsamkeit, Meditation, Yoga oder Ähnliches waren nie etwas für mich. In dem Jahr brauche ich es nicht mehr, weil ich täglich bei den Aufgaben, die ich tat, in eine Art Flow geriet. Ich fühlte mich danach so lebendig wie in den letzten Jahren nur selten. Glück pur. 

Bleibt es dabei keine Ziele mehr auch für das Jahr 2021?

Nein, im Jahr 2021 gibt es wieder Ziele. Gleichzeitig werde ich Raum für Zeit ohne Ziele lassen. Raum für ziellose Kreativität oder auch einfach Spielen, ohne ein Ergebnis.

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