08 Aug Warum zum Teufel kann ich nicht an meinen Entwicklungszielen festhalten?
Warum zum Teufel kann ich nicht an meinen Entwicklungszielen festhalten?
You can read this article in English here: Why the hell can’t I stick with my development goals?
Erfahre in dem Artikel, warum persönliche Reflexionen kein Garant für eine transformative Persönlichkeitsentwicklung ist, und was helfen kann, die Grenzen unseres individuellen Systems zu erweitern, um das highest Future potential zu entwickeln.
Tabea hatte schon unzählige Reflexionen durchgeführt. Seit Jahren führt sie jeweils in ihrem längeren Sommerurlaub und zwischen den Jahren eine sehr ausführliche Reflexion durch. Das sie noch nicht begonnen hatte, privat OKRs einzuführen, war verwunderlich. Tabea hatte tatsächlich schon darüber nachgedacht, da sie gerade im letzten Jahr das Gefühl hatte auf der Stelle zu treten, mehr noch als schon in den Jahren davor. Sie kann sich an die stundenlagen Spaziergänge und Wanderungen erinnern bei denen sie wieder und wieder über ihr Leben reflektierte. Es gefiel ihr nicht, wie es derzeit lief, sie wollte unbedingt etwas ändern. Woche für Woche stellte sie Überlegungen an, was es sein könnte, was sie ändern konnte. Mal noch mehr arbeiten, mal noch weniger, mal den Fokus verändern, mal keinen Fokus setzten, mal Achtsamkeit als Methode mal Meditation, mal mehr Sport mal Kreativität und Kunst, dann eine neue Ausbildung, ein neues Thema, und so weiter … . An ihrem Gefühl, nicht da zu sein, wo sie hingehörte, änderten all die Versuche nichts. Nein, sie war nicht unzufrieden mit ihrem Leben, die Arbeit machte ihr erstaunlich oft sogar noch Spaß. Privat war auch alles gut. Privat war es auch nicht, es war das Berufliche, ihr Purpose, der ihr fehlte. Wobei sie gar nicht den Anspruch hatte, unbedingt ihren Lebensunterhalt mit ihrem Sinn zu verdienen, sie wollte es nur wissen. Was war ihr highest Future potential? Worin lag ihr größtes Potential?
Nun stand wieder ein Urlaub an, Wochen Zeit für Reflexionen, sie war müde, sie wollte nicht wieder und wieder reflektieren, zu oft war sie in den letzten Monaten, ja sogar Jahren gefühlt nicht weiter gekommen. Was war es, was sie ausbremste, was hinderte sie daran, ihr highest Future potential zu erkennen?
Das online Lexikon für Psychologie und Pädagogik definiert Reflexion als eine „Überlegung, kritische Selbstbetrachtung oder abwägendes Denken“ [5]. Bei einer Retrospektive handelt es sich um eine rückwärtsgerichtete Betrachtung und Bewertung dessen, was gut und was schlecht gelaufen ist, um im Folgenden Maßnahmen zur Verbesserung abzuleiten. Beides hatte gemein, das es darum geht in die Vergangenheit zu blicken, um kritisch dargewesenes zu analysieren und zu betrachten, um darauf basierend Maßnahmen für die Zukunft abzuleiten. Die Aktionen sollen helfen, die Ziele und Visionen zu erreichen. Tabea wollte mehr, sie wollte nicht nur Ziele erreichen, sondern sie wollte überhaupt erst mal herausfinden, was ihr highest Future potential war. Was konnte sie maximal erreichen?
Klar können wir durch die Reflexion ausfindig machen, was nicht gut gelaufen ist, oder auch das, was besonders gelungen ist, und auch in einem Zusammenhang stellen, warum das so gewesen ist. Das Problem bei dieser Art der Vorgehensweise ist allerdings, das alle Überlegungen aus dem gleichen Gedanken- und Möglichkeitsspektrums, der beteiligten Personen herrühren.
Kann eine Person, überhaupt aus dem Mikrokosmos der bewusst wahrgenommenen Möglichkeiten ausbrechen und das maximal Mögliche erkennen, um dafür Aktionen zu entwickeln?
Ist unsere Art der Betrachtung und Interpretation der Welt nicht maximal durch unsere Biographie bestimmt und so für uns unmöglich etwas zu erreichen, was ein Schritt seitwärts darstellen würde?
Es gibt drei Theorien die einzeln schon aufzeigen woran Transformationen scheiten können und warum Reflexion allein kein Garant für das Erreichen des highest Future potential ist.
Instrumente zur Transformation.
Die „Theory U focuses on how individuals, groups, and organizations can sense and actulize their highest future potential“ (Scharmer, 2018, S. 33). Dabei unterscheidet Otto Scharmer bezüglich der zwei Möglichkeiten des Lernens „(1) by reflecting on the past and (2) learning by sensing and actualizing emerging future possibilities“ (Scharmer, 2017, S. 26). Scharmer gibt 3 Instrumente an, um das highest futer potential ausfindig zu machen: open mind, open heart und open will.
Das Entscheidende beim Open mind ist es zu erkennen, das wir die Welt basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen interpretieren. Er spricht davon, dass wir, wenn wir Open mind zuhören, wirklich das hören, was das gegenüber sagt. Scharmer stellt dem Open mind das downloading gegenüber. Beim downloading seien wir vor allem damit beschäftigt schon beim zuhören, unsere Antworten zu formulieren. Tabea ist selbstkritisch genug, als das sie erkennt, dass sie sich oft in dem downloading Modus befindet. Interessanterweise ist das sehr von den Personen abhängig, mit denen sie kommuniziert. Gerade im beruflichen Kontext befindet sie sich meist im downloading Modus.
Ein Open mind ist sich über die stetigen Urteile wie wir die Welt sehen und aufnehmen durchaus bewusst. Ein Open heart hingegen nimmt eine andere Perspektive beim Zuhören ein und nimmt so die Welt, das Gesagte, das Wahrgenommene neu und aus einer anderen Perspektive wahr. Otto Scharmer spricht auch vom empathischen zuhören. Das konnte Tabea vor allem gut ihren Freunden und ihrer Familie gegenüber. Aber wie hörte sie sich eigentlich selber zu? Wie waren ihre Selbstgespräche? Sich selbst gegenüber war sie auch eher im downloading Modus.
Beim open will hören wir von der highest Future Self zu, es gibt Raum, das Neues entstehen kann. Da war sich Tabea gar nicht sicher. Sie hatte viele Visionen, sehr viele Visionen sogar und dann ein paar Tage später, waren sie nicht mehr gut, oder sie begann zu zweifeln, ob sie diese jemals erreichen konnte. Der Spruch, „Schuster bleib bei deinen Leisten“ holte sich immer wieder ein.
Wie kann Wissen aufgenommen werden?
Kegan hat ein schönes Bild entwickelt, um die unterschiedliche Art wie gelernt werden kann, darzustellen. Einerseits kann beim Lernen immer mehr Wissen zu einem Thema hinzugefügt werden. Dabei wird ein Gefäß mit immer mehr Wissen gefüllt. Er spricht dabei von In-Formation, d.h. das neu erlangte Wissen, wird dem schon existierenden Gefäß hinzugefügt. Oh das tat Tabea seit Jahren.
Von Trans-Formation spricht Kegan, wenn in der Art und Weise etwas Neues hinzugelernt wird, dass das neu gelernte nicht mehr zu dem schon existierenden Gefäß hinzugefügt werden kann. Das heißt, wir erlagen Wissen, was außerhalb von unseren bekanntem System liegt. Nach Kegan bedeutet Transformation, dass „das Subjekt der vorhergehenden Ebene zum Objekt des Subjekts der nächsten Ebene“ wird.
Hier war sich Tabea nicht sicher, ob sie verstand, was damit gemeint ist.
Transformation ist genau das, was wir brauchen, um aus alten Strukturen und Mustern auszubrechen und Neues entstehen zu lassen. Dieses Wissen ist notwendig, um nicht wieder und wieder in alten Kreisläufen gefangen zu sein und auch das highest Future possible zu erreichen. Das suchte Tabea verzweifelt.
Was muss ich mitbringen, um mich transformativ entwickeln zu können?
Jane Loevinger unterscheidet 10 Stufen und 3 Ebenen bei der Ich-Entwicklung. In der vorkonventionellen Ebene (Stufe 2 und 3) sind die Personen vorwiegend am eigenen Selbst orientiert. In der konventionellen Ebene (Stufe 4, 5, 6) werden sie durch Erwartungen, Normen und Regeln der Gesellschaft gesteuert, wohingegen in der postkonvetionellen Ebene (Stufe 7, 8, 9, 10) die Selbststeuerung unabhängig von Gesellschaft und vorgeordneten Perspektiven gelebt wird. Menschen in dieser Entwicklungsstufe sind an allgemeinen Prinzipien orientiert und erkennen die Relativität der eigenen Sichtweise. Nach dem Modell streben Menschen auf der Stufe 8 danach, sich maximal selbst weiterzuentwickeln. Auf Stufe 9 geht es vor allem um das Bewusstsein seiner selbst und auf Stufe 10, die auch fließende Stufe genant wird erleben sie „den Wunsch, frei zu sein von jeder selbsteinschränkenden Selbst-Definition, ebenso wie von exzessiven Kategorisierungen und Bewertungen anderer“ (Binder, 2016, S. 55). Betrachtet man das Objekt Subjekt Gleichgewicht nach Kegan und korrespondierende Stufen der Ich-Entwicklung nach Loevinger ergibt sich folgendes Bild:
(Binder, 2016, S. 63)
Entwicklungsstufe (Loevinger) |
Entwicklungsstufe (Kegan) |
Subjekt wodurch werde ich gesteuert |
Objekt was kann ich steuern |
E3 |
Souveränes Selbst |
Bedürfnisse, Interessen, Wünsche |
Impulse, Wahrnehmungen |
E4 |
Zwischenmenschliches Selbst |
Beziehungen, Erwartungen relevanter Bezugspersonen |
Bedürfnisse, Interessen, Wünsche |
E6 |
Institutionelles Selbst |
Eigene(s) Identität, Ideologie, Weltbild |
Beziehungen, Erwartungen relevanter Bezugspersonen |
E8 |
Überindividuelles Selbst |
Überindividuelle Prinzipien und Werte, Austausch zwischen Selbstsystemen |
Eigene(s) Idenität, Ideologie, Weltbild |
E10 |
Subjekt-Objekt-Differenzierung löst sich auf |
Subjekt-Objekt-Differenzierung löst sich auf |
Schockierend ist nun, das Loevinger in ihren Studien heraus fand, „dass sich das Ich-Entwicklungsniveau bei der Mehrheit der Erwachsenen auf der Rationalistischen Stufe (E5) einpendelt“ (Binder, 2016, S. 67). Allerdings ist mindestens Stufe E6/E7 notwendig, um die drei von Otto Scharmer vorgeschlagenen Instrumente anwenden zu können.
Tabea stuft sich nach Loevinger selbst auf der Stufe 6 ein, da sie von sich selbst sagt, dass sie eine eigene Identität entwickelt hat, fähig ist, Unterschiede wahrzunehmen, Situationen rational abzuwägen, und sich eigene Ziele setzt. Allerdings sieht sie eine Grenze bezüglich der Stufe 7.
Die postkonvetionelle Ebene beginnt mit der relativierenden Stufe, einen „Abstand zu der Art und Weise wie in einem sozialem System (Familie, Freundeskreis, Unternehmen, Gesellschaft, etc.) Dinge eingeschätzt und für wichtig und richtig berunden werden. Normen, Regeln und Strukturen werden nur als eine Art, die Wirklichkeit zu gestalten, aufgefasst und daher als prinzipiell veränderbar angesehen“ (Binder, 2017, S. 48). In dieser Stufe werden Unterschiede und Veränderung begrüßt. Manchmal ja manchmal nein dachte Tabea. Auch empfand sie die Einschätzung der Familie, Freunde und auch Gesellschaft als wichtig und konnte sich definitiv nicht davon freisprechen. Tabea hat also das Potential basierend auf dem Modell der Theorie U ihr highest Future potential zu entwickeln.
Neuroplasticity als Möglichkeit der Ich-Entwicklung.
„Das Gehirn des Menschen ist nicht starr organisiert, sondern unterliegt ständigen Veränderungen, es ist ein sehr dynamisches System. Die Eigenschaft, sich nach Bedarf neu zu organisieren, wird Plastizität genannt. Neuroplastizität wird als Grundlage zahlreicher Lernprozesse angesehen“ (Lehrner et al., 2011, S. 612). Neuroplasticity geht von der Annahme aus, das wir zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit haben, unser Potential zu entfalten. „You are creating, at this moment, the Person you`re going to become tomorrow, and you are physically wriring that person into your brain“ (Helmstetter, 2013, S. 11). Auch hier ist der Ansatz sich von den durch die Biographie geprägten Urteilen und Vorurteilen sich selbst gegenüber zu befreien und mit neuen Gedanken, das Selbst zu gestalten. „If you think just 35,000 thoughts in a day, and if you live to be 85 years old, that would mean you will think 12,775,000 thoughts a year, or 1,085,875,000 thoughts (that’s over a billion individual thoughts) in your lifetime. That’s a lot of thoughts“ (Helmstetter, 2013, S.36).
Wie auch die Erkenntnisse der Neuroplastizität Tabea dabei helfen können ihr highest Future possible zu erkennen und Maßnahmen für die Entwicklung in die Richtung zu entwickeln, könnt ihr in den kommenden Wochen erfahren, wenn ihr Tabea bei der Reise begleitet. Sie führt die Reise gemeinsam mit Inanna durch, die ihr immer wieder als Mentor zur Seite steht.
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Referenzen:
[1] Binder, T., (2019). Ich-Entwicklung für effektives Beraten. Vandenhoek & Ruprecht GmbH & Co. KG.
[2] Helmstetter, S., (2013). The Power of Neuroplasticity, Published by Park Avenue Press.
[3] Lehrner, J., Pusswald, E., Fertl, E., Strubreither, W., Kryspin-Exner, I., (2011). Klinische Neuropsychologie. Grundlagen – Diagnostik – Rehabilitation. 2. Auflage. Springer Wien New York.
[4] Scharmer, O., (2018). The Essentials of Theory U. Berrett-Koehler Publishers.
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